Samstag, 31. Oktober 2015

Ortenauer Weinweg (5/1): Auf der Flucht vor dem Herbstwald

Oktober 2015. An einem wunderschönen Sonntag stand die fünfte Etappe des Ortenauer Weinwegs auf dem Programm. Diesmal haben wir schlau vorher in Herztal bei Oberkirch übernachtet, um uns ohne lange Anfahrt nach dem Frühstück auf den Weg zu machen. Gemächlich steigen wir bergan zur Judas-Thadäus-Kapelle, wo wir unsere Tour aufnehmen. Gleich zu Anfang hängt an einem Weingut ein Besen.
Das heißt nicht etwa, dass dieser Hausbesitzer seine Kehrwoche nicht erledigt hat (in Baden-Württemberg fegt man bitteschön jedes Wochenende den Gehweg) und auch nicht, dass hier die Hex' vom Dasenstein hängen geblieben ist, sondern es ist eine andere Besonderheit im deutschen Südwesten, die es so auch in der Südpfalz gibt: Eine "Besenwirtschaft" darf zu bestimmten Zeiten im Jahr die eigenen Produkte nicht nur verkaufen, sondern auch auftischen. Zum Wein darf es dann natürlich auch eine Kleinigkeit zu essen geben. Nur das ganze Jahr darf nicht geöffnet sein. Wenn der Wirt offen hat, hängt er einen Besen ans Schild. In anderen Gegenden wird ein Strauß rausgehängt - dann ist es eine "Straußenwirtschaft".
Wir kommen nicht recht voran, weil meine Chefin dauernd fotografieren will. Die meisten Trauben sind Mitte Oktober schon abgeerntet. 
Der geschäftstüchtige Winzer hat seine Besen wirklich überall aufgehängt. Denn die Konkurrenz ist groß im Schlemmerland der Ortenau. Ein paar Trauben hängen noch und erhoffen sich wohl eine Karriere als Spätlese oder gar Eiswein.
Wir ziehen an der Kapelle St. Wendelin vorbei, zu der es heute noch einen Wallfahrtsritt gibt. Der heilige Wendelin hat nämlich auch das Vieh beschützt, war ein Schutzpatron der Bedrängten, der Pilger und der Hirten. Kurz dahinter stoßen wir im Wald auf ein Marienheiligtum mit diversen Madonnen, Engelchen und vielen Blumen.
Man könnte hier auch auf den Renchtalsteig abbiegen, der in sieben bis acht Stunden zu gen Hugenhöfen führt, uns aber VIEL zu lang erscheint.Uns steht der Sinn nach einem gemächlichen Sonntagsvergnügen, und so folgen wir lieber unserem Weinweg. der auch prompt einen Grillplatz touchiert.
Ich muss mir genau beschnuppern, was hier so pieksig herumliegt. Die Bäume bewerfen uns heute mit Eicheln und Esskastanien (Maronen), und ich muss stellenweise sehr gut aufpassen, wohin ich meine Pfoten setze. Einmal überlegt meine Chefin echt, ob sie mich ein Stück tragen soll, weil ich so eierig laufe, aber das wäre doch zu peinlich.
Trotzdem: Es knackt und piekt und klackert ringsherum so sehr, dass ich froh bin, wenn wir aus dem Wald in die Weinberge treten. Die Aussicht ist nicht sensationell, auch das Straßburger Münster ist allenfalls zu erahnen. Wie schon so oft auf diesem Weg ist es bei schönem Wetter eher diesig, aber mild und angenehm. Meinen Chefs gefällt die verwunschene Stimmung an der Teufelskapelle.
In dem dunklen Wald dort hinten (wo Kinder begeistert Maronen sammeln), landen wir mit einem Mal auf einem Sagenweg, der zum Beispiel erklärt, was es mit dem Teufelsstein auf sich hat (ein verrückter Streit zwischen dem Teufel und einem Männlein, das sich am Ende als St. Wendlin entpuppt). Die Spuren der Teufelskrallen sind angeblich in diesem Stein zu sehen.
Ich schnuppere tüchtig, aber es stinkt nichts mehr nach Schwefel. Auch unter der Bank im Wald, auf der wir uns nach dem anschließenden etwas steileren Anstieg ausruhen, riecht es lediglich zum Buddeln gut. Wäre doch gut möglich, dass jemand hier ein Salamibrot verloren hat, oder?
An dieser Stelle muss ich mal einer Bemerkung zur Inkompatibilität von Frühaufstehern mit Hund und Freizeitsportlern loswerden. Auf dem Ortenauer Weinweg sind nämlich am Sonntagmorgen jede Menge Mountainbiker unterwegs, meistens ziemlich fix und in Trupps von drei bis sechs Radlern. Wenn die mit Karacho einen Hang herunter fegen oder um die Kurve biegen, muss man sich in Sicherheit bringen.

Das dürfen die natürlich, denn der Weg ist auch für Radfahrer freigegeben. Aber eben auch für Wanderer. Ein Hund muss da aufs Wort hören oder ständig an der Leine sein (es gibt ja auch Hunde, die keine freiheitsdurstigen Beagles sind). Reiter und Jogger haben wir später auch getroffen, doch die sind deutlich berechenbarer als die Radfahrer und treten nicht gleich in Massen auf.
Wer den Radfahrern gern ausweichen möchte, sollte später losziehen als wir. Denn die Radler nutzen gern die frühen Stunden des Tages, wenn noch nicht so viel los ist, damit sie freie Bahn haben. 
Das Schwarze Kreuz bei Nesselried  ist ein unheimlicher Ort. In dunklen Nächten steht dort ein schwarzer Ritter mit Schwert und Schild, und wenn der Wanderer an ihm vorbeigeht, reißt der Ritter sein Schwert in die Höhe und zieht es so scharf herunter, dass der Wanderer vor Schreck in Ohnmacht fällt. Wacht er wieder auf, dann steht am Waldrand eine liebliche Jungfrau und winkt, aber der Wanderer ist wie gelähmt und kann erst am Morgen mit dem ersten Geläut seinen Weg fortsetzen.

Die klugen Nesselrieder haben deshalb an dem Kreuz auch eine kleine Schutzhütte errichtet. Also gibt es keinerlei Grund, sich auf den Ritter und sein unglückliches Jungfräulein einzulassen!

Wenig später erreichen wir Schloss Staufenberg. Darauf haben sich meine Chefs schon richtig gefreut. Nicht etwa, weil der wilde Wein so hübsch aussieht. Das Schloss ist rund 1000 Jahre alt und gehört dem Markgrafen von Baden, der rundherum ausgesprochen leckeren badischen Wein zieht.
Meine Menschen müssen das natürlich gleich versuchen und freuen sich, dass die zünftige Weinstube schon ab 11 Uhr geöffnet ist. Das Essen schmeckt auch sehr fein und ist durchaus erschwinglich.

Man kann in dem Schloss auch heiraten. Ob das aber so empfehlenswert ist? 
Auf dem Sagenweg haben wir nämlich auch die Geschichte von der Melusine gelesen. Das war eine wunderschöne Jungfrau, die gern erlöst werden wollte - nur leider war ihr Auserkorener ein Hasenfuß und heiratete eine andere (was ihm gar nicht gut bekam). Wobei eine Frau mit Krötenkopf und Drachenschwanz nun einmal nicht jedermanns Sache ist. Die Frage ist, welche Hochzeit ihm am Ende besser bekommen wäre.
Etappe 5 vom Ortenauer Weinweg geht eigentlich durch Durbach bis fast nach Offenburg. Wir haben dieses eine Mal das Auto am Gasthof stehen lassen und spazieren nach dem Mittagessen gemütlich zurück, wobei wir wahren Völkerscharen begegnen. Diesen idyllischen Zipfel im "Ländle" wissen eben viele zu schätzen. Ein guter Grund, die Etappen nur ganz klein anzulegen - so können wir öfter wiederkommen!